The National Times - Nach EuGH-Urteil zu Mindestlohn entbrennt Debatte über Tarifverträge

Nach EuGH-Urteil zu Mindestlohn entbrennt Debatte über Tarifverträge


Nach EuGH-Urteil zu Mindestlohn entbrennt Debatte über Tarifverträge
Nach EuGH-Urteil zu Mindestlohn entbrennt Debatte über Tarifverträge / Foto: © AFP/Archiv

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Mindestlöhnen ist in Deutschland eine Debatte über die Folgen entbrannt. Die europäischen Richterinnen und Richter in Luxemburg erklärten am Dienstag zwar zwei Bestimmungen der Mindestlohnrichtlinie für nichtig, die übrigen aber für gültig. Die Arbeitgeber zeigten sich enttäuscht, Gewerkschaften und EU-Kommission dagegen erfreut. Gestritten wurde vor allem über die vorgesehene Förderung von Tarifverhandlungen. (Az. C‑19/23)

Textgröße ändern:

Die 2022 beschlossene Richtlinie setzt selbst keine Mindestlöhne fest. Das bleibt auch so. Die Regelungen sollen die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verbessern und Tarifverhandlungen unterstützen. Länder mit weniger als 80 Prozent der Beschäftigten in einer Tarifbindung - wie etwa Deutschland - sollen einen Aktionsplan aufstellen. Als Referenzwert für einen angemessenen Mindestlohn, an dem sich die EU-Länder orientieren sollen, gilt beispielsweise der Betrag von 60 Prozent des Medianlohns.

Dänemark klagte gegen die Richtlinie, es hielt die EU für nicht zuständig. Schweden unterstützte die Klage. Deutschland und sechs weitere EU-Staaten sowie die EU-Kommission traten dagegen als Streithelfer des EU-Gesetzgebers auf. Die Klage hatte nun zum großen Teil keinen Erfolg. Grundsätzlich dürfe die EU sich auch um Themen kümmern, bei denen es im weiteren Sinn um Löhne geht, entschied der EuGH.

Sie darf aber Arbeitsentgelte nicht selbst festlegen. Mit zwei Bestimmungen wurde diese Grenze überschritten, wie der EuGH urteilte. Dabei geht es erstens um die Kriterien, die EU-Länder mit Mindestlöhnen bei der Festlegung und Aktualisierung berücksichtigen mussten - die Kaufkraft, das allgemeine Lohnniveau, die Wachstumsrate der Löhne und langfristige nationale Produktivitätsentwicklungen.

Zweitens kippten die europäischen Richterinnen und Richter das Verbot einer Senkung des gesetzlichen Mindestlohns, wenn es einen automatischen Anpassungsmechanismus gibt.

Auf Deutschland hat das keine direkten Auswirkungen. Hier schlägt die Mindestlohnkommission aus Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften, einer Vorsitzenden und zwei beratenden Mitgliedern aus der Wissenschaft alle zwei Jahre eine Anpassung des Mindestlohns vor. Diese kann die Bundesregierung verbindlich machen, muss das aber nicht tun.

Vor einigen Tagen beschloss das Bundeskabinett, sich an die neueste Empfehlung der Kommission zu halten. Der Mindestlohn steigt demnach zum Jahreswechsel auf 13,90 Euro. 2027 soll er auf 14,60 Euro steigen.

Ausdrücklich bestätigt wurde vom EuGH die Regelung zur Förderung von Tarifverhandlungen. Darauf pochten nun die Gewerkschaften. "Die Bundesregierung bleibt in der Pflicht, die Tarifbindung in Deutschland entscheidend zu verbessern", erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Andrea Kocsis. In Deutschland seien nur knapp 50 Prozent der Beschäftigten von einem Tarifvertrag erfasst.

Der EuGH habe "heute der Bundesregierung erneut ins Aufgabenheft geschrieben, einen wirksamen Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung zu verabschieden", erklärte der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Guido Zeitler.

Die Richtlinie sieht vor, dass Länder mit weniger als 80 Prozent der Beschäftigten in einer Tarifbindung einen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen aufstellen sollen, um die Abdeckung schrittweise zu erhöhen. Der Abschluss von Tarifverträgen ist dabei aber nicht verpflichtend.

Deutschland will die Tarifbindung mit dem geplanten Bundestariftreuegesetz stärken. Demnach sollen Unternehmen in Deutschland bei öffentlichen Aufträgen ab einem Wert von 50.000 Euro künftig Löhne in Tarifhöhe zahlen - auch wenn sie nicht tarifgebunden sind.

Für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände warnte nun Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter: "Lohnfindung und Tarifpolitik dürfen nicht noch weiter politisiert werden." Auch der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen hätte sich "ein eindeutigeres Ergebnis zugunsten der Tarifautonomie gewünscht", wie sein Präsident Dirk Jandura mitteilte.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich dagegen erfreut über das Urteil. Sie sprach von einem "Meilenstein" für Europäer - es gehe um "Würde, Fairness und finanzielle Sicherheit".

S.Cooper--TNT

Empfohlen

Lange Haftstrafen für drei Syrer in München wegen Kriegsverbrechen in Heimatland

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat drei Männer wegen Kriegsverbrechen in Syrien zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Nach 14-monatiger Verhandlungsdauer erhielten die Angeklagten am Dienstag Strafen von neun Jahren und zehn Monaten, sieben Jahren sowie viereinhalb Jahren Gefängnis, wie das Gericht mitteilte.

Urteil: Kein Schmerzensgeld für in Notwehrlage abgeschlagene Hand

Wer sich aus Angst um sein Leben in unvermeidbarer Weise irrtümlich in einer Notwehrlage wähnt und dem mutmaßlichen Angreifer dabei eine Hand abschlägt, muss einem Urteil aus Rheinland-Pfalz zufolge kein Schmerzensgeld zahlen. Das Landgericht Koblenz wies nach Angaben vom Dienstag eine entsprechende Klage des Geschädigten ab. Dieser forderte Schmerzensgeld von einem Mann, der ihm mit einer Machete die linke Hand abschnitt, nachdem er ihn zuvor mit einer Schreckschusswaffe beschossen hatte.

Angeklagter zu Anschlag in Magdeburg: "Ich habe mit Absicht angegriffen"

Der Angeklagte im Prozess um den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt mit sechs Toten hat gestanden, die Tat geplant zu haben. Er habe "mit Absicht angegriffen, das war meine Absicht, definitiv", sagte Taleb A. am zweiten Prozesstag am Dienstag vor dem Landgericht Magdeburg. Er bestritt jedoch, Menschen gezielt überfahren zu haben.

Atemgerät von Mitpatientin ausgestellt: 75-Jährige wird in Türkei ausgewiesen

Die Ausweisung einer wegen versuchten Totschlags verurteilten 75 Jahre alten Frau in die Türkei ist zulässig. In einem am Dienstag veröffentlichten unanfechtbaren Beschluss wies der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim die Beschwerde der Frau gegen eine entsprechende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zurück. Damit kann sie ausgewiesen werden.

Textgröße ändern: