
Wilder Tour-Auftakt: Philipsen siegt, Lipowitz abgehängt

Jasper Philipsen feierte schon überglücklich seinen Coup mit den Teamkollegen, als Florian Lipowitz mit gesenktem Kopf ins Ziel rollte: Der deutsche Senkrechtstarter hat schon zum Auftakt seiner ersten Tour de France einen schmerzhaften Rückschlag kassiert und überraschend Zeit verloren. Während Philipsen die erste Etappe in Lille im Massensprint gewann und damit ins Gelbe Trikot schlüpfte, wurde Lipowitz wie sein Red-Bull-Kapitän an einer Windkante abgehängt.
"Es war eine grandiose Teamleistung in einem harten, sehr nervösen Rennen. Man musste heute immer vorne bleiben", sagte der Belgier Philipsen (Alpecin-Deceuninck), der sich nach 184,9 km im Massenspurt vor Biniam Girmay (Eritrea) durchsetzte und seinen insgesamt zehnten Etappensieg beim wichtigsten Rennen der Welt feierte. Bester Deutscher wurde Marius Mayrhofer (Tübingen/Tudor) auf Platz neun.
Pascal Ackermann (Kandel/Israel-Premier Tech), der auf seinen ersten Tour-Sieg geschielt hatte, kam nach einem frühen Angriff auf Platz 19. "Ich habe alles auf eine Karte gesetzt, aber dann sind mir die Beine eingeschlafen", sagte der Routinier: "Ich bin nicht hier, um Zweiter zu werden und werde nicht ohne einen Etappensieg hier weggehen."
Für einige Favoriten gab es bereits eine böse Überraschung: An einer Windkante rund 17 km vor dem Ziel war das große Feld auseinandergefallen, nur rund 40 Fahrer blieben vorne, darunter Titelverteidiger Tadej Pogacar und Herausforderer Jonas Vingegaard. Das Red-Bull-Duo mit Lipowitz und Roglic wurde ebenso abgehängt wie Belgiens Olympiasieger Remco Evenepoel - 39 Sekunden Rückstand gab es für sie aus heiterem Himmel.
"Es ist kein Weltuntergang, aber es hätte besser laufen können", sagte Red-Bull-Teamchef Ralph Denk: "Es können eben nicht alle vorne sein. Das ist jetzt nicht aussichtslos."
Von Beginn an war es eine hektische Etappe. Jonas Rutsch, Teamkollege des frischgebackenen deutschen Meisters Georg Zimmermann bei Intermarché-Wanty, gehörte zur Ausreißergruppe des Tages, die sich unmittelbar nach dem scharfen Start vor den Toren von Lille gebildet hatte.
Dort hatten sich zuvor um 13.10 Uhr 184 Fahrer aus 23 Mannschaften auf den Weg nach Paris gemacht, wo die Tour am 27. Juli nach 21 Etappen und 3338,8 km enden wird. Zehn deutsche Profis gehören zum Peloton, zwei mehr als im Vorjahr. Hunderttausende Fans feierten den ersten Tour-Auftakt in Frankreich seit vier Jahren - an die Atmosphäre des rauschenden Grand Depart in Dänemark 2022 reichte die Stimmung freilich nicht heran.
Das Ausreißer-Quintett, zu dem neben Rutsch vier Franzosen gehörten, fand aber beim Feld keine Gnade. Knapp zweieinhalb Minuten gönnten die Verfolger der Spitzengruppe, die Teams der Sprinter wollten mit der Aussicht auf das Gelbe Trikot kein Risiko eingehen.
Bei phasenweise starkem Wind war die Anfangsnervosität im Feld zu spüren, es kam zu diversen Stürzen. Die Favoriten blieben allerdings verschont. Der neue deutsche Rundfahr-Star Lipowitz musste aber nach einem Plattfuß einen langen Zwischensprint fahren, um wieder ins Hauptfeld zu gelangen. Taktisch zumindest sehr diskutabel: Sein Red-Bull-Team ließ keinen Helfer zu Lipowitz zurückfallen, der dadurch unnötig viel Mühe und Kraft investieren musste - am Ende gab es dann den nächsten Nackenschlag.
Pogacar und Vingegaard hielten sich ansonsten lange zurück. "Die erste Woche ist immer sehr hektisch, da kann man die Tour leicht verlieren", hatte Pogacar gesagt. Für ihn wird es am Mittwoch im Einzelzeitfahren in Caen erstmals ernst.
Für Philipsen wird es schwer, Gelb auf der zweiten Etappe am Sonntag erfolgreich zu verteidigen. Auf den letzten 35 von 209,1 km nach Boulogne-sur-Mer stehen zwei Bergwertungen der dritten und eine der vierten an, Ausreißer oder Klassikerspezialisten dürften Vorteile gegenüber Sprintern besitzen.
T.Hancock--TNT